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Zum Ende der Seite springen Nützes Gedöns (IV.) - Nie wieder Facebook
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Facebook ist lediglich eine Scheinwelt, wie sie Mark Zuckerberg gefällt – und in der sich Nazis vermehren, meint Andreas Wilkens.





Vor genau einem Jahr veröffentlichte der Spiegel einen Artikel, in dem er die Lügen seines früheren Reporters Claas Relotius aufdeckte. In dem Monat darauf breitete ich für eine Glosse auf heise online die Idee aus, wie es aussähe, wenn ich vollständig auf elektronische Kommunikationsmittel verzichten, aber weiter im Newsroom arbeiten würde. Wie diese beiden auf den ersten Blick nicht zusammenhängenden Vorgänge doch zusammenhängen? Meine Utopie – für manche vielleicht auch Dystopie – vom "Digital Detox im Newsroom" wurde wie Relotius' Märchen für bare Münze genommen, von vielen Lesern, die mich dazu beglückwünschten, von Freunden, die nachfragten, wie ich denn nun erreichbar sein würde – wobei sie den Widerspruch nicht bemerkten, dass ich ihre Frage via Internet übermittelt bekam und auch beantwortete –, und es gab sogar Kollegen aus etwas weiter entfernten Redaktionsbüros, die mich am Rauchertempel auf dem Heise-Campus darauf ansprachen, wie es sich denn so lebe ohne Computer, Smartphone und so.

Als sich diese Entwicklung kurz nach Veröffentlichung meiner Glosse am Morgen des 20. Januar 2019 im dazugehörigen Leserforum bereits andeutete, wurde mir heiß und kalt. Nur vereinzelt wurde Skepsis an der von mir geschilderten Szenerie laut, die allermeisten Foristen gingen konkret darauf ein, als würden sie sie glauben, oder diskutierten generell darüber, wie es sich mit der Abhängigkeit von elektronischen Kommunikationsgeräten oder auch mit anderen Suchtstoffen wie zum Beispiel Alkohol verhält. Auch wurde bemäkelt, dass unter der Glosse nicht meine Postadresse vermerkt sei, da ich ja nun zwecks Leserbrief nicht mehr per E-Mail erreicht werden könne.

Nein, mir erschien nicht nachts Relotius im Traum, wie er vom roten Teppich aufs Podium springt und mir grinsend irgendeine Reportertrophäe entreißt; von solcherlei Preisen war und bin ich ohnehin weit entfernt. Aber ich bekam einen Hauch davon zu spüren, wie es ist, notorisch Nichtwahrheiten zu verbreiten und immerzu befürchten zu müssen, dabei entdeckt zu werden.

Mühlen der Erkenntnis

Dabei war mir die Idee, mit einer Schreibmaschine im Newsroom Nachrichten auf Papier herunterzuklappern, die eingescannt werden, damit sie von IT-unbeeinträchtigten Kollegen ins Redaktionssystem gestellt werden können, so abwegig erschienen, dass ich es mit einer Andeutung im Anrisstext zu der Glosse belassen hatte: "Was könnte passieren, wenn ein durch und durch digital vernetzter Mensch dessen überdrüssig wird? Wenn er zudem als Online-Redakteur arbeitet?"


Neben den Missverständnissen und Irritationen unter Lesern, Freunden und Kollegen ist noch etwas anderes passiert. Auch angeregt durch die Forenbeiträge zu der Glosse machte ich mir gründlicher als bisher Gedanken über meinen Umgang mit der Informationstechnik im Allgemeinen und über die Kommunikation mit ihr im Speziellen und welche Abhängigkeiten sich daraus ergeben haben. Am Ende der Überlegungen habe ich mich für immer von Facebook verabschiedet.

Die Mühlen der Erkenntnis mahlen mitunter langsam. In den vergangenen Monaten hatte ich meinen Facebook-Account weiterhin munter mit Posts befüllt, Beiträge anderer geliket und meinen Newsfeed geflöht. Mir war bewusst und es hatte mich auch geärgert, dass Mark Zuckerberg mir dank seiner Algorithmen nicht alles zeigt, sogar manches vorbehält, was mir eigentlich nicht hätte entgehen sollen, zum Beispiel Beiträge von realen guten Freunden, aber anscheinend hatte ich mich damit abgefunden.

Damit, dass Facebook lediglich eine große Scheinwelt darstellt, eine Welt, wie sie Zuckerberg gefällt, in der sich vielleicht auch darum Menschen gerne ausbreiten, die meinen, impfen sei schädlich und die Erde flach. Neben beliebigen Ausschnitten aus der Realität kann ich mich auch nicht auf die Angaben der Nutzer verlassen, dass ihnen etwas gefalle, denn diese werden in großem Stil einfach gekauft. Zum Beispiel von Politikern, die sich gerieren wie der ungeliebte Schüler, der Kameraden auf dem Schulhof mit Bonbons für sich zu gewinnen versucht.

Grapschender Präsident

Dabei hätte ich mich selbst spätestens schon seit meinem eigenen Kommentar zur Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im November 2016 auf die richtige Spur bringen können. Darin hatte ich über soziale Netzwerke und ihren Beitrag dazu spekuliert, wie der größte Twittertroll aller Zeiten ins Weiße Haus einziehen durfte, und war zu dem Schluss gekommen, dass ich selbst in einer Filterblase gefangen war, die mich an die Unmöglichkeit der Möglichkeit glauben ließ, dass die finale Verkörperung des alten weißen Mannes inthronisiert werden könnte, ein Frauenangrapscher.

Eine klassische Selbsttäuschung, die in letzter Konsequenz, nämlich den Facebook-Account zu löschen auch nicht endete, als ich im September 2017 der Meinung wurde, dass es das neueste Sammelbecken der Nationalkonservativen und Faschisten ohne Facebook nie und nimmer in den Bundestag geschafft hätte. Nebenbei: Der rasante Niedergang der Auflagenzahl des Boulevard-Blatts "Bild" wurde für mich auch erklärbarer, denn dank der sozialen Medien konnte ja nun jeder Tratsch und Unwahrheiten verbreiten.

Ab damit auf Facebook

Wie Millionen anderer Menschen auch sah ich auf der Straße etwas skurriles oder lustiges, fotografierte es, um es sogleich auf Facebook zu zeigen. Eine seltsame Begebenheit, Impressionen eines Spaziergangs, der Besuch eines Konzerts oder Festivals – ab damit auf Facebook. Ungehemmt kam ich meinem exhibitionistischen Drang nach und malte stetig an einem Bild, das andere von mir haben sollten. Ähnliches versuchte ich vor zehn Jahren auf Twitter, aber im Vergleich zu Facebook erschien mir die Plattform flirrender, nervöser, noch mehr Aufmerksamkeit erheischender und noch weniger durchschaubar als Facebook. Ähnlich erging es mir mit Instagram.

Einen wichtigen Anstoß dazu, Facebook endgültig zu verlassen, lieferte mir das nun wiederaufgelegte Buch "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus" von Theodor W. Adorno, das auch an dieser Stelle thematisiert wurde. Propaganda als die Substanz der Sache selbst für Politiker, die keine Theorie und kein Konzept haben, machte Adorno bei der NPD so wie bei der NSDAP aus. Eine Plattform wie Facebook erscheint gut fünfzig Jahre nach Adornos Vortrag ideal dafür, braunen Rotz als die "Substanz der Sache selbst" in die Welt zu schleudern; halb- bis unwahres Wutgestammel ohne jeden Respekt vor der deutschen Rechtschreibung. Schließlich sitzt Facebook in den USA und hat daher eine weitläufigere Auffassung als wir davon, wie weit die Meinungsfreiheit reicht.

"Wir sollten die Kneipe nicht den Nazis überlassen", schrieb mir ein Freund, nachdem er mich nicht mehr auf Facebook gefunden hatte und ich ihm den Schritt unter anderem mit dem Vergleich begründete, dass ich ja auch nicht in Kneipen ginge, in denen Nazis gröhlen. Damit befand der Freund sich wohl argumentativ in den Fußabdrücken Adornos, der in jenem Vortrag meinte, die Propaganda der Rechtsradikalen dürfe nicht totgeschwiegen oder ignoriert werden.

Das tut die Bundesregierung nicht, und zwar auf ihre Art. Gegen Hassreden und Persönlichkeitsverletzungen in sozialen Netzwerken, mit denen sich Pegida und Konsorten besonders hervortun, dachte sie sich das Netzwerkdurchsetzungsgesetz aus. Justizministerin Christine Lambrecht setzt nun noch einen oben drauf und plant in ihrem Gesetz "zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität" eine Pflicht für WhatsApp, Gmail, Facebook, Tinder & Co., Sicherheitsbehörden auf Anfrage sensible Daten von Verdächtigen wie Passwörter oder IP-Adressen auch ohne Richterbeschluss herauszugeben. Da darf dann sogar die ganz rechte Bundestagsabgeordnete Joana Cotar wettern, die Bundesregierung wolle einen Überwachungsstaat nach chinesischem Muster etablieren und das offene Internet sowie die freie Meinungsäußerung endgültig beerdigen.

Und was tut Facebook? Lässt Faktenprüfer Fakten prüfen und hat nun in den USA ein Projekt begonnen, in dem "community reviewers" zunächst von lernenden Maschinen aufgespürte potenzielle Fehlinformationen nachprüfen und ihr vorläufiges Urteil den eigentlichen Faktenprüfern vorlegen. Will sagen: Facebook lässt googeln.

Infozombies auf dem Weg nach ganz rechts

Das könnte ein nachmaliges Eingeständnis des "Social Networks" dessen sein, dass sich unter seinen Milliarden Accountbesitzern nicht wenige befinden, die aus welchen Gründen auch immer nicht selbstständig denken. Sie nehmen anscheinend alles für bare Münze, was auf Facebook gepostet wird, so wie anno dazumal nicht wenige Menschen meinten, AOL sei "das Internet". Facebook ein riesiger Pool Infozombies, die sich dank modernster Technik in die äußerste rechte Ecke schieben lassen?

Der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff beobachtet an Kindern, aber auch an Erwachsenen eine digitale Überforderung. Da das Gehirn nur eine bestimmte Menge an Nachrichten aufnehmen und verarbeiten könne, gerieten die Menschen durch die Überflutung "in den Zustand der diffusen Angst, der Getriebenheit, der Reizüberflutung". Thesen, die übrigens besondern im Fernsehen und Internet Verbreitung finden. Wie auch immer, die Menschen neigen im Internet offenbar dazu, Informationshäppchen aufzunehmen anstatt die ganze Mahlzeit beziehungsweise Menschen mit einer geringen Aufmerksamkeitsspanne bekommen mit den Social Networks das für sie ideale Medium geboten.

"Unsere Mission ist es, den Menschen die Möglichkeit zu geben, Gemeinschaften zu bilden, und die Welt näher zusammenzubringen." So wie es Facebook selbst in seinen Nutzungsbedingungen schreibt, hatte ich das Netzwerk auch verstanden und benutzt. Ich fand frühere Mitschüler und Freunde, schloss mich Interessengruppen an, konnte Kontakt halten mit lieben Menschen, die ausgewandert sind; vor allem angesichts der Menge an Menschen, die sich auf Facebook versammelt haben, boten sich allerlei Optionen.

Löcher in der dünnen Schicht der Zivilisation

Darauf basiert Facebooks Geschäftsmodell, aber eben auch darauf, dass Menschenfeinde ihr Gift verspritzen und weitere Gedankenlose rekrutieren. Dort wie auf anderen "sozialen Netzwerken" werden unentwegt Löcher in die dünne Schicht der Zivilisation geschnitten, von Nazis, von Päderasten, von Frauenfeinden und vielen anderen, die es sonst wesentlich schwerer hätten, ihr Unwesen zu treiben.

Um auf den Vergleich mit der Kneipe zurückzukommen: Manch Wirt freut sich ja auch eher über den Bierdurst seiner Gäste als dass er ihrem Stammtischgefasel lauscht. Der Redewendung "Dummheit frisst, Intelligenz säuft" würde ich da nicht vertrauen. Und auch nicht immer Freunden, die auch gerne mal ein dickeres Buch lesen, denn oft genug musste ich welche von ihnen darüber aufklären, dass der Kettenbrief, den sie gerade auf Facebook weiterverbreiteten, reiner Unfug war.

Am besten wäre es, Zuckerbergs Laden für immer dichtzumachen, aber das geht nicht so einfach. Ich habe Facebook verlassen und hoffe, dass es andere möglichst schnell auch tun werden, denn jeder, der bei Facebook angemeldet ist, hält den Dienst mit seinen Daten am Leben, ob er nun postet oder nicht. Das sollte so weit gehen, bis der braune Mob sich selbst überlassen bleibt. Dann werden wir vielleicht auch von den Überwachungsphantasien der Sozialdemokraten verschont. (anw)


Quelle: https://heise.de/-4619534

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